Thomas Feuerstein: PSYCHOPROSA

29.05.2015 — 30.08.2015

Eröffnung: 28. Mai 2015, 19 Uhr

Der Frankfurter Kunstverein zeigte die erste große institutionelle Einzelausstellung in Deutschland des österreichischen Künstlers Thomas Feuerstein. Seine Installationen und „molekularen Skulpturen“ basieren auf chemischen und biologischen Prozessen, die als Sinnbilder für soziale und psychische Bewusstseinszustände stehen. Sie nehmen Bezug auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen wie die Auswirkungen von Biopolitik auf das Individuum. In der Ausstellung Psychoprosa entwickelte der Künstler für den Frankfurter Kunstverein eine eindrucksvolle Arbeit, die sich als Großinstallation über mehrere Räume und Etagen hinweg erstreckte.

Im Zentrum der Ausstellung Psychoprosa stand Schleim als biochemischer Stoff und bildhauerisches Material. Die Produktion des Schleims fand als realer Prozess in den Ausstellungsräumen statt und verwandelte den Frankfurter Kunstverein in ein zusammenhängendes Ensemble aus Gewächshaus, Laborküche, Kühlraum, Kino und Fabrik. Die über Schläuche untereinander verbundenen Apparaturen und Objekte produzierten und transformierten in ihrem Inneren Substanzen, Kühlschränke öffneten und schloßen sich selbsttätig, transparente schleimige Fäden tropften von raumgreifenden gläsernen Skulpturen.

In enger Zusammenarbeit mit Thomas Seppi von der Medizinischen Universität Innsbruck und dem Chemiker Ingo Wartusch hatte Thomas Feuerstein das synthetische Molekül Psilamin entwickelt, welches aus Algen und Pilzen gewonnen wird. Bei dessen Herstellung fallen große Mengen schleimigen Biofilms an. Würde man Psilamin einnehmen, würden sich psychotrope Wirkungen einstellen. Die Einnahme der psychoaktiven Substanz würde die Wahrnehmung des Individuums radikal verändern, so zum Beispiel Gegenstände im Raum weich und konturenlos erscheinen lassen. Schleim ist eine Substanz, die in den Naturwissenschaften gleichzeitig als Ursprung und Ende von lebendigen Prozessen steht. Alles Lebende entspringt formloser Substanz und wird wieder zu dieser. Feuersteins Arbeiten zitieren und verarbeiten immer wieder literarische Referenzen. Sprache ist für ihn ebenso Material, wie chemische Elemente, Lebewesen und Laborinstrumente. Der Schleim in Feuersteins Ausstellung für den Frankfurter Kunstverein spielt eine zentrale Rolle, wobei die Wahl dieses Materials aus bildhauerischer Perspektive eine einmalige Setzung ist – die Feuersteins kluger Ironie, Mut und visionärer Kraft Ausdruck verleiht.

Thomas Feuerstein konzipierte die Ausstellung als eine räumliche Erzählung, der er eine Narration in Form einer literarischen Geschichte in der Tradition des Science Fictions zugrunde gelegt hat. Skulpturen, Bilder und Installationen bildeten Räume, die als Stationen des Parcours miteinander verbunden aufgebaut waren. So auch der Kinoraum, in dem die Skulptur Sternenrotz als Hörstück präsentiert wurde. In einem dunklen Raum sah sich der Betrachter hier einer leuchtenden Skulptur gegenüber, bei der ein zäher, phosphoreszierender Schleim langsam als Schlieren und Tränen über ein Glasobjekt tropfte. Im stetigen Hervorbringen und Verschwinden der Formen wurden die spezifischen Eigenschaften von Schleim als beweglichem bildhauerischem Werkstoff deutlich. Gleichzeitig warf der Text die Fragen nach Form und Anti-Form auf. Der Hörer verfolgte die Auseinandersetzung von Forschern und Bioaktivisten mit der Frage nach der evolutiven Rolle des Biofilms in einer hypothetischen „Schleimzeit“ der Menschheitsgeschichte. Thomas Feuerstein erzählte in seiner Ausstellung Psychoprosa nicht nur eine Geschichte vom Material als lebendigem Prozess und Träger von spezifischen Eigenschaften, sondern auch von der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft in der Moderne.

Mit dem Ausstellungstitel Psychoprosa machte der Künstler auf einer weiteren Ebene die Subjektivität in der Erfahrung von Welt und deren Wahrnehmung deutlich. Die Verbindung der Worte „Psycho“ und „Prosa“ weist auf das erzählerische und subjektive Moment in der Kunst hin. Das Narrativ Psychoprosa kann als eine Erweiterung des auf Aufklärung und Moderne beruhenden rationalen Gedankensystems der westlichen Gesellschaft gelesen werden. Gleichzeitig regt es zur Reflektion der Idee von Entgrenzung im Sinne eines möglichen Gegenentwurfs von Weltwahrnehmung an.

Die Ausstellung war eine Kooperation mit der Galerie im Taxispalais, Innsbruck und dem Kunstverein Heilbronn.

Kuratorin: Franziska Nori