Michelle Harder

Exuvie, 2021
Raumgreifende Installation
Mutterboden, Ton, Äste
800 x 620 cm
Courtesy die Künstlerin

Michelle Harders Arbeit entsteht an der Schnittstelle von Skulptur, Installation und Performance. Die Künstlerin hat als ihr zentrales Material Lehm verwendet. In einem langen Prozess der Suche hat sie sechs Tonnen Aushub aus der Region um Limburg gewählt und in die Räumlichkeiten des Frankfurter Kunstvereins bringen lassen. Die lehmige Zusammensetzung war wesentliche Voraussetzung, um ihre skulpturale Arbeit durchführen zu können. Harder mischt den Lehm mit Wasser, verdichtet und formt ihn immer wieder in einem konzentrierten körperlichen Prozess zu einer plastischen und elastischen Masse, die sie in Hohlformen einpasst.

Harder arbeitet mit Gipsabformungen des eigenen Körpers. In einem vorangegangenen Prozess hat sie Teile ihres eigenen Körpers mit gipsgetränkten Gazen bandagiert, die Aushärtung des Materials erwartet, um sich dann daraus zu befreien. Aus den Schalen entstehen zweigeteilte Hohlkörper als Negativformen für ihre Plastiken. In diese drückt sie die ausgewalkte Lehmmasse und lässt diese trocknen, um sie dann vorsichtig zu entnehmen. Manchmal zerbricht die fragile Form im Prozess.

Harder hat im Ausstellungsraum eine Landschaft aus Erdanhäufungen gestaltet, aus denen sie die geschaffenen Körperfragmente wachsen lässt. Aus dem Lehmboden, den die Künstlerin als Mutterboden bezeichnet, gehen die Abformungen des eigenen Leibes wie eine Saat auf. Die fragmentarischen Körperplastiken ordnet die Künstlerin neu an. Sie bildet Konstellationen aus erkennbaren Partien und Hauthüllen, die mit dem natürlichen Boden eins werden.

Der eigene Körper bildet in seiner Abformung eine ausgehärtete Oberfläche, eine hohle und fragile Form, die zurückbleibt nach dem künstlerischen Schaffensprozess. Es ist das Relikt aus einem vitalen Prozess, wie eine Haut, die abgelegt wurde. Eine stille Form, die als Hülle hinterlassen wird wie von einem Insekt oder Reptil bei dessen Hautwechsel. Die Gestalt bleibt bestehen und legt Zeugnis eines Körpers ab, der die abgestreifte Haut hinterlassen und einen neuen Lebenszyklus begonnen hat. Die Exuvie eines Wesens, die plastische Erinnerung dessen was es zuvor war und aus dem es herausgewachsen ist. Eine Transformation hat stattgefunden und eine neue Phase hat ihren Anfang gefunden. Es beginnt erneut der Kreislauf des Lebens und der Materie, die temporär eine Form annimmt und erneut vergeht.

Die Fragilität der Lehmformen ist wesentlicher Bestandteil der künstlerischen Arbeit Michelle Harders. Sie gibt die Skulpturen den äußeren Einflüssen preis und weiß, dass die Formen jederzeit zerbrechen können. Die Installation selber ist für die Dauer der Ausstellung geschaffen. Temporär wurde der Boden dem natürlichen Kreislauf des Lebens entnommen und wird nach der Ausstellungsdauer diesem wieder zugeführt.

Michelle Harder (*1995, Stuttgart, DE) wohnt und arbeitet in Offenbach am Main (DE). Bevor sie 2015 ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (DE) bei Prof. Heiner Blum und Prof. Heike Schuppelius begann, schloss sie 2009 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Balletttänzerin ab. Ihre skulpturalen Arbeiten beschäftigen sich mit Fragen zur Körperlichkeit und Identität. 2020 erhielt sie das Jahresstipendium der Künstlerhilfe Frankfurt (DE). Unter anderem hat Michelle Harder in folgenden Institutionen ausgestellt: Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main (DE), Zollamt Galerie, Offenbach am Main (DE), Hafenhallen, Offenbach am Main (DE), Kappus Seifenfabrik, Offenbach am Main (DE).