Juan Pérez Agirregoikoa

Culture is what is done to us, 2014
Serie von Zeichnungen
Acryl und Kohle auf Papier
100 x 75 cm
Courtesy der Künstler, Private Collection Geesche Aarning, Clages Gallery

Von links nach rechts

Linke Wand:
THE VIRGIN SPANKING THE INFANT JESUS
BURNED TREE
DOMESTIC FASCIST
LOVING
THE TREE LOVE
LURKING
TURNING AND TURNING AROUND
PATRIARCH, PP SPANKING THE VIRGIN
FAMILY TREE

Rechte Wand :
LITTLE FAMILY TREE
I’M SO ROMANTIC
THE GRAND FATHER AX
WAY WAY WAY
SWINGING
HOME
WAITING
BEHAVIOR
ASTONISHMENT
LOVE
FACING THE SUN
STAIRWAY TO HEAVEN

Fabeln ohne Moral

Der Titel dieser Serie von Zeichnungen zitiert bewusst den Künstler Carl Andre: „Art is what we do. Culture is what is done to us” (Kunst ist das, was wir tun. Kultur ist das, was man uns antut). Für Juan Pérez Agirregoikoa ist Kultur eine uns auferlegte Strafe, ein Wertesystem, das unsere Sichtweise der Welt prägt und uns in der Übertragung von Bedeutung gefangen hält, in einer Konditionierung auf Unterwerfung. In seinen Werken hinterfragt der Künstler gleichzeitig spezifische und gemeinsame Traditionen der Kultur, die die Grundlage unserer westlichen Gesellschaften ausmachen: Werte, Ideen, Bräuche, Institutionen, ideologische Überbauten wie Heimat und Patriarchat, unersättlichen Kapitalismus, Familie, romantischen Idealismus, die katholische Religion. Wie können wir uns umerziehen? Wie kann man dem Ursprung und dem Erbe entkommen, das die Schicksale beeinflusst?

Ein Stammbaum aus Augen, die sich gegenseitig misstrauisch und wachsam beobachten. Die Ratten des Kapitals versammeln sich in einem endlosen Tanz, ihre Schwänze bilden Dollarzeichen. Eine andere Ratte intoniert mit erhobener rechter Faust das Cara al sol (Gesicht zur Sonne), die Hymne der faschistischen Bewegung der Falange Española de las JONS, die nach dem Ende des Bürgerkriegs (1936-1939) zu einer der offiziellen Hymnen Francos wurde und in vielen spanischen Schulen bis fast in die 1970er Jahre gesungen wurde. In der kollektiven Vorstellung repräsentieren Ratten seit jeher die niederen Leidenschaften der menschlichen Natur. Es sind zwiespältige und ironische Bilder: mit einer menschlichen Haltung versohlt die Jungfrau Maria das Jesuskind. Abwegig besteht ein Wald aus sexualisierten Bäumen. Grotesk schwimmt ein Hitler-Fisch im Aquariumglas. Verhängnisvoll, wie der gleichzeitig beängstigende und verängstigte Großvater eine Säge schwingt. Scham und Enttäuschung: der Einzelne befindet sich zwischen Galgen und Schaukel oder auf einer Leiter, die zu kurz ist, um den Himmel zu erreichen.

Diese visuellen Aphorismen beinhalten jeweils Titel und Text, die einen Kontrapunkt setzen, die ein vertrautes Bild verwandeln, welches an eine Märchenillustration, an eine Fabel erinnert, wie in volkstümlichen Catalanischen Bilderfabeln oder in Francisco de Goyas Caprichos, wo der wichtigste, persönlichste und bedeutungsvollste Kommentar am Fuße eines Stiches steht. Auch bei Juan Pérez Agirregoikoa sind die Titel der Zeichnungen oft so zweideutig wie seine Darstellungen. Manche lassen zuerst eine wörtliche Interpretation zu, und beim zweiten Lesen eröffnen dieselben Worte andere Bezüge, die die Erfahrung des ersten Betrachtens unterlaufen.

Pérez Agirregoikoa bedient sich einfacher und unspektakulärer Mittel, die er mit enormer plastischer Effizienz einsetzt: Malerei auf Papier, Kohle und Aquarell, Texte, Publikationen, Transparente mit Slapstick-Sprüchen wie dem, der an einem Sommernachmittag über dem Himmel von San Sebastián, die Heimatstadt des Künstlers, zu sehen war: „Marx, I Love U. Will U Marry Me?“ (Marx, ich liebe dich. Willst du mich heiraten?). In jüngster Zeit dreht er Filme, die auf ironische Art und Weise Dialoge der politischen Philosophie inszenieren. Seine Arbeit konzentriert sich stets auf die Fähigkeit der visuellen und schriftlichen Sprache, zu hinterfragen, welche Art von Wesen wir sind oder uns erlauben zu sein. Jacques Lacans Psychoanalyse und seine eigenen Überlegungen darüber, wie es möglich ist, heute politische Kunst zu machen, sind in Agirregoikoas Werk eingewoben und ständig präsent.

 

Juan Pérez Agirregoikoa (*1963, San Sebastian, ES) lebt und arbeitet zwischen Paris (FR) und San Sebastian (ES). Seine Arbeit befasst sich mit der Fähigkeit visueller und geschriebener Sprache Betrachter:innen herauszufordern und hinterfragt, welche Art von Subjekten wir sind oder uns erlauben zu sein. Seine Zeichnungen, Publikationen, Banner und Filme wurden in mehreren Museen und Kulturzentren gezeigt, darunter Tabakalera International Centre for Contemporary Culture, Donostia (ES), KAI10 Artena Foundation, Düsseldorf (DE), Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid (ES), Galerie Clages, Köln (DE), KIT Kunst in tunnel, Düsseldorf (DE), Museo Guggenheim, Bilbao (ES), MACBA Barcelona Museum für zeitgenössische Kunst, Barcelona (ES), Jakarta Biennale 2015, Jakarta (ID), 31. Bienal de São Paulo (BR), MUHKA Museum van Hedendaagse, Antwerpen (NL), 9. Biennale d’art contemporain de Lyon, Lyon (FR), CAC Contemporary Art Centre, Vilnius (LT), Stedelijk Museum, Amsterdam (NL), Frankfurter Kunstverein, Frankfurt (DE).