Abstract von Judith Goetz

Während Themen wie sexuelle Gewalt in den letzten Jahren von der extremen Rechten über Maßen beansprucht wurden, vernachlässigten viele linke Gruppen die gleichen Themen oder reduzierten ihre Analysen darauf, die rechtsextreme Rhetorik als Rassismus zu entlarven. Insbesondere Debatten über „legitime“ Islamkritik oder der Umgang mit der Instrumentalisierung von „Geschlechterpolitik“ durch die extreme Rechte haben zu Spaltungen und Konflikten innerhalb der linken Szene geführt. Oft wurden Rassismus oder Sexismus entweder gegeneinander ausgespielt und sexuelle Gewalt verharmlost oder überbetont. Während einige linke Gruppen unter dem Deckmantel der Aufklärung und Emanzipation rassistische Denkmuster verbreiteten, konnte in anderen Teilen der Linken eine „Gegenkultivierung des Antirassismus“ (Perinelli 2016) beobachtet werden.

Die Frage, wie eine Perspektive aussehen könnte, die beides – Misogynie und patriarchale Gewalt – adressiert, ohne sich rassistischer Instrumentalisierungen zu bedienen, blieb weitgehend unbeantwortet; zu einfach war die Konzentration auf den „Feind“. Auch die wenigen kritischen (feministischen) Stimmen, die z.B. die globalen Gemeinsamkeiten patriarchaler Gewalt thematisierten, blieben lange Zeit ungehört. Linke Gruppen versäumten es nicht nur, auf diese rechten Instrumentalisierungen adäquat zu reagieren, sie verstanden auch jahrelang die damit verbundenen Themen viel zu wenig als ihre eigenen. Hätten Gruppen, die heute das Thema aufgreifen, dies in den letzten Jahrzehnten konsequent getan, wäre es für die extreme Rechte nicht so einfach gewesen, diese Themen in ihrem Sinne zu besetzen. So wie sich die extreme Rechte nur dann der sexualisierten Gewalt widmet, wenn sie daraus einen rassistischen Nutzen ziehen kann, reagiert die Linke nur, wenn rechte Gruppen das Thema aufgreifen. Folglich dient in beiden Fällen „sexuelles Fehlverhalten, das von marginalisierten ‚Anderen‘ begangen wird“ (Dietze 2016) als Ausgangspunkt der unterschiedlichen Mobilisierungen. Darüber hinaus konnten rechte Gruppen diese vorhandenen Leerstellen mit ihrer Agenda füllen und dadurch ihre Forderungen im politischen Mainstream-Diskurs verankern und als legitime Positionen normalisieren.

Im Gegensatz dazu hat sich im Juli 2020 in Österreich eine Bewegung gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Feminizide zu politisieren, patriarchale Gewalt in ihrer extremen Verschärfung. Die Akteur*innen knüpfen an die feministische Bewegung Ni Una Menos an, die ihren Ursprung in Lateinamerika hat. Seither ist in Österreich kein Feminizid unkommentiert geblieben, stattdessen wurden bei jedem Bekanntwerden eines Feminizids spontane Demonstrationen – mittlerweile mehr als 20 Mal – organisiert. Feminizide zu politisieren bedeutet, eine Praxis zu finden, die es ermöglicht, das rein reaktive Moment zu überwinden und damit Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Im Zuge dieser Politisierung wurden wichtige feministische Debatten angestoßen – von den Verstrickungen mit anderen Ideologien der Ungleichheit im Kapitalismus bis hin zu der Frage, welche Verbesserungen unter den gegenwärtigen Ausbeutungsverhältnissen möglich wären und an wen entsprechende Forderungen gerichtet werden könnten. Durch die Beantwortung jedes einzelnen Frauenmordes, unabhängig von den jeweiligen (Herkunfts-)Geschichten der Täter, ist es auch möglich, auf die zentralen Gemeinsamkeiten patriarchaler Gewalt und destruktiver Männlichkeitskonstruktionen weltweit zu verweisen, Ethnisierungen entgegenzuwirken und die selektiven rechten Instrumentalisierungen als rassistisch zu entlarven.