Grußwort von Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger
Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Das Kooperationsprojekt zwischen Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Frankfurter Kunstverein – neue Wege zwischen Wissenschaft und Kunst

Noch nie hat sich die erfahrbare Welt so schnell verändert wie heute. Die „Great Acceleration“, die exponentielle Inanspruchnahme unserer Ressourcen, ist Realität und kennzeichnet das Anthropozän mit all seinen positiven und negativen Erscheinungen: noch nie ging es so vielen Menschen so gut, und noch nie ging es unserer Umwelt und Natur weltweit so schlecht! Natur ist zu einer limitierenden Ressource geworden, so dass schon heute die Zahl der Umweltflüchtlinge die Zahl der Kriegsflüchtlinge übersteigt.

Die Menschheit muss also ihr Verhältnis zur und ihren Umgang mit der Natur neu justieren und zu einer zukunftsfähigen Nutzung natürlicher Ressourcen finden. Dies ist keine triviale Aufgabe, setzt sie doch ein umfassendes Verständnis der vernetzten Prozesse im System Erde-Mensch voraus. Liegt der Schlüssel zur Rettung der Welt also in der Wissenschaft? Muss uns die Wissenschaft lehren, wie wichtig die Natur für uns ist und wie wir mit ihr umzugehen haben – und die Politik hat dies umzusetzen?

Leider ist die Situation komplizierter. Zum einen liefert die Wissenschaft keine Wahrheiten, sondern nur Hypothesen und beinhaltet so immer die Zumutung der Unsicherheit, die in der Gesellschaft auf eine wachsende „Ambiguitätsintoleranz“ (Thomas Bauer) stößt und entsprechend eine zunehmende Vorliebe für einfache Wahrheiten, „fake news“ und Populismus nach sich zieht. Auch gibt es – wenn man der evolutionären Erkenntnistheorie folgt – evolutionär bedingte Erkenntnisgrenzen für den Menschen: unser Gehirn ist als Produkt von Mutation und Selektion entstanden und kann so immer nur eine „Menschen-Erkenntnis“ generieren, ähnlich wie ein Amsel-Gehirn eben nur eine „Amsel-Erkenntnis“ hervorbringen kann.

Zum anderen führt eine wissenschaftliche Erkenntnis und Hypothese noch lange nicht zu einer Haltungs- und Handlungsveränderung. Denn der Weg von der Erkenntnis zur Handlung ist ein langer, wie etwa die seit 1992 laufenden und bisher weitgehend ergebnislosen globalen Klimaverhandlungen zeigen. Wenn eine Haltungs- und Handlungsveränderung erreicht werden soll, muss ihre Notwendigkeit nicht nur intellektuell verstanden, sie muss „gefühlsmäßig“ auch verinnerlicht sein und emotional zutiefst gewollt werden!

Ziel der Kooperation zwischen dem Senckenberg Museum und dem Frankfurter Kunstverein ist es, dem Publikum in einer neuartigen Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst neue Perspektiven und Narrative auf ausgewählte Inhalte in beiden Häusern zu präsentieren. Dafür bringen die Partner ihre jeweils einzigartigen Kompetenzen ein.

Im Zentrum der Kooperation steht dabei das sich laufend verändernde, stets aber konfliktbehaftete und ambivalente Verhältnis Mensch – Natur mit seinen positiven wie negativen Weiterungen. Eigens für die Kooperation konzipierte Interventionen in beiden Häusern ermöglichen eine Ergänzung oder Irritation bisheriger Wahrnehmungsmuster und verschränken die zwei institutionellen Bereiche. So können wissenschaftliche Ansätze emotional erlebbar werden und neue Zugänge zu Erfahrungs- und Denkräumen geschaffen werden.

Möge diese Zusammenarbeit zwischen Frankfurter Kunstverein und Senckenberg die Sensibilisierung für die besonderen Herausforderungen des Anthropozäns befördern!

Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger
Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger ist seit 2005 Professor für Paläontologie und Historische Geologie an der Goethe-Universität und Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Letztere ist eine der weltweit bedeutendsten Einrichtungen für Natur- und Biodiversitätsforschung und mit sieben Instituten, drei Museen und rund 850 Mitarbeitern weltweit aktiv.

Volker Mosbrugger wurde 1983 an der Universität Freiburg promoviert und habilitierte sich 1989 an der Universität Bonn. In seiner Forschung interessiert er sich insbesondere für die – natürliche und Menschen-gemachte – Dynamik des Erdsystems. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech. Er ist Ehrendoktor der Universität Lyon und Träger des Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).