Jonas Brinker

Standing Still, 2019
HD video, loop
Courtesy the artist

In seiner für den Frankfurter Kunstverein neu entwickelten Arbeit widmete sich Brinker domestizierten Wölfen. Hierfür recherchierte er einen Tiertrainer, der auf die Aufzucht und das Training von Wölfen für deren Einsatz an Filmsets spezialisiert ist. Von klein auf konditioniert der Trainer die Wildtiere auf den Menschen. Sie lernen auf einfache Befehle zu reagieren, still zu stehen und zu posieren. Jonas Brinker beobachtete das Verhalten der domestizierten Lebewesen in diesem künstlichen Setting und zeichnete auf, wie sich das Natürliche und das Inszenierte gegenseitig bedingen.

Ausgangspunkt des Werks war somit ein Lebewesen, das seit jeher und in allen Kulturkreisen als Symbolträger menschlicher Projektionen und Mythen. Wie kein anderes Tier wurde es zur ambivalenten Projektionsfläche von Ängsten, zum Symbol des Unzähmbaren und Wilden. Der Wolf taucht in unzähligen antiken Mythologien auf, zum Beispiel als Tiergottheit um den ägyptischen Gott Osiris, den griechischen Apoll oder römischen Mars, in China als Wächter des Himmelspalastes und in Indien als Begleiter schrecklicher Gottheiten. Der Gründungsmythos Roms stellt die mütterliche Seite der Romulus und Remus säugenden und somit rettenden Wölfin heraus. Indianische Völker sahen den Wolf als Bruder des Menschen. Im sogenannten Dritten Reich wird der Wolf zum Symboltier der Kraft und Aggression. In der neueren Literatur verliert der Wolf die rein negative Zuschreibung und wird Sinnbild für eine menschliche innere Wolfsseite, so zum Beispiel bei Hesses Steppenwolf. In der analytischen Psychologie C.G.Jungs steht die Wolfsfrau als Symbol der Kraft weiblichen Urinstinkts.

Insbesondere in den vergangenen Jahren wurde die Rückkehr des Tieres in deutschen Wäldern mit Angstszenarien verbunden, die immer wieder bestimmte Metaphern und Topoi aufrufen. Der Wolf steht für viele als Sinnbild für eine bedrohliche, wilde, jedoch auch kluge und freie Kreatur. Diese Stereotypen werden dem Tier vor allem durch eine bestimmte Bildsprache auferlegt, die den Wolf in Dokumentationen oder Spielfilmen als eben diese Metapher rahmen. Die Videoarbeit von Jonas Brinker baute auf diese Konnotationen auf und zeigte selbst den Moment, in dem das Tier zum Bild wird. Vor einem Greenscreen drehte der Wolf seine Runden und stellte sich immer wieder auf einen künstlichen Stein, um in die Ferne zu blicken. Das Tier wurde dressiert, sich in konditionierten Bewegungsabläufen nach dem Befehl des Menschen zu verhalten. Doch Blick und Körperhaltung des Tieres lassen die kontroverse Spannung durchscheinen, die man im Inneren des Wesens erahnen kann.

Die Landschaft aus Greenscreen und dem künstlichen Stein, in der es sich bewegen muss, ist eine Fabrik für Bilder, die die immer wieder gleichen Deutungen produzieren. Der Film von Jonas Brinker zeichnet den Moment auf, der vor dem medial inszenierten Produkt stattfindet. Die Kamera bleibt still, sie steht als teilnehmender Beobachter im Raum und schaut auf das Tier und seine Konditionierung und erhascht dessen Blicke.